Manchmal steht man morgens auf und stellt fest, dass die Welt sich vor lauter Freude heute mal für einen Kopfstand entschieden hat. Manchmal steht man morgens auf und ist verwirrt, weil heute schon wieder ein anderes Bett in einer anderen Stadt ist. Und manchmal steht man morgens auf, mit einem Kater in den Gliedern und die einzige pressierende Frage lautet, wann man los muss, um pünktlich zum nächsten Mal „morgen wieder woanders aufwachen“ zu erscheinen.
Dieser dramatische mentale Ausnahmezustand nennt sich „die erste Tour“: Es kam völlig überraschend und ist wie ein Traum. In zwei Monaten und drei Blöcken durfte und darf ich weiterhin verschiedene Bühnen in ganz Deutschland mit meiner ureigenen Musik bespielen, im Vorprogramm von gleich zwei sagenhaften Bands: Laing und Großstadtgeflüster. In den ersten zwei Runden wurde bereits gut vorgelegt, und zwar mit den vier morgens immer müden Fitness-Forscherinnen, die man gut und gerne auch mal bei wechselnder Beleuchtung auf Safari antrifft. Saugeil! Die Fans haben mich so herzlich aufgenommen, dass ich mir mitunter so vorkam, als würde ich in Rom einziehen. Mit falschem Haarteil bekränzt winkte ich jubelnden, mit Smartphonen wedelnden Massen zu und fühlte mich wie eine siegreiche Monarchin.
Träume haben aber bekanntlich auch ihre Schattenseiten. Jeder kennt diese Vertigo-Momente, in denen man an sich runterschaut und feststellt, dass man gar nichts anhat oder einfach alle Zähne ausfallen. Bei all der Freude ist mir durchaus bewusst, dass das auch ganz anders hätte laufen können. So ein Bühnenauftritt ist ja schließlich nicht frei von Gefahren. Firmenfeiern und Gala-Dinner sind mitunter der Stoff, aus dem meine Albträume gemacht sind.
Wegen folgendem Szenario: Du bist gebucht, um dein Standard-Repatoire in mehreren Sets zu performen. Du bist es mittlerweile gewohnt, dass die Menschen schon wenn du den Raum betrittst in Ehrfurcht verstummen und gespannt der Dinge harren, die da kommen mögen. Die Musik beginnt. Du holst tief Luft, beginnst mit jenem non-chalanten Lächeln das zu tun, was du am besten kannst…
Und keinen Schwanz interessiert’s! Die Leute reden sogar extra-laut, damit sie sich über deinen Gesang hinweg unterhalten können. Nicht ein Lied lang, nein, auch das nächste und übernächste. Die Aufmerksamkeit der gefühlten drei Menschen, die anfangs vermutlich aus Mitleid so getan haben, als hörten sie dir zu schwindet so rapide, dass es am Ende nicht mal Applaus gibt. Da ist er, dieser fürchterliche Moment: Ich nenne das den DIVENTOD.
Glücklicherweise passiert mir sowas nicht oft, aber gerade letzte Woche bin ich ihn wieder gestorben, jawohl! Ich stand da auf meiner Bühne und kam mir vor, wie der einzige unerwünschte Gast auf einer Party. Das Mikrofon war quasi mein Scharlachletter. Ich konnte meiner Aura beim schrumpfen zusehen und wäre am liebsten auf der Stelle nach Hause gegangen. In solchen Situationen, bevor ich mich innerlich vom Rest der Veranstaltung verabschiede und mir alles egal wird, rufe ich dann gerne mal Leute an. Gute Vibes tanken. Könnte mir die vielleicht auch selber herbei meditieren, aber zwischen zwei Sets geht ein Anruf bei Mama meistens schneller. Der telefonische Händchen-Halte-Notdienst wurde auch neulich wieder aktiviert und in der zweiten Runde war der Schalter dann umgelegt. Einfach so, einfach neu. Ich weiß nicht, ob es das andere Outfit war oder Zarah Leander, die nicht nur beim Publikum jenseits der 50 immer zieht. Möglicherweise hatte es auch nur mit dem Schnaps, den ich mir vor aller Augen noch mal kurz genehmigen musste zu tun? Am Ende des dritten Auftritts wurde jedenfalls eine längere Zugabe gefordert, alle haben mitgesungen und es war ganz und gar festlich. Auf einmal wusste ich wieder, warum ich mein Leben mit dem Mikrofon in der Hand so sehr liebe.
Als Touristin der Erlebniswelten zwischen Euphorie und bisweilen frustrierender Arbeit gegen Windmühlen bin ich im Geiste mal in der Luft, dann wieder zu Land und ab und zu auch zu Wasser unterwegs. Auf der Bühne zu stehen ist für mich die wunderbarste Sache der Welt, doch es sind nicht nur die Komplimente, die Rosen und die glitzernden Outfits, die mich süchtig machen. Applaus ist super, in Wahrheit bin ich aber einfach froh, wenn ich mich nicht alleine fühle. Der große Klaus Kammer beklagte seinerzeit die Einsamkeit „davor und danach“. Die Bühne dazwischen ist mein sicherer Ort, den ich so sehr brauche, dass ich meistens nicht einmal Schuhe anhabe. Ich finde mich hier und kann Kontakt mit mir und meiner Umwelt aufnehmen. Teilen. Meine innere Hedonistin leben. Da sein. Strahlen und mir notfalls ein paar Luxe dazu erkämpfen. Ich will das einfach so. Sie sagen, ich sei eine Diva – sie haben absolut Recht.
Foto: Philip Nürnberger, Make-Up: Jenna Müller