Esther1„Entschuldigung ist ein großes Wort, so trägt es doch die Schuld in sich – und  sind wir mal ehrlich, niemand möchte schuldig sein“, schreibt Esther Niko (33). Der Grund, warum die Sängerin diese Zeilen für Brainbitch verfasste, ist ihr Song „Sorry“ auf dem Album „What if…“ Wir kannten sie bisher als Schauspielerin unter dem Namen Esther Seibt – nun sorgt sie allerdings für musikalisches Hollywood aus goldenen Zeiten. Und sie schreibt die Songs mit Retro-Charme selbst. Nachdem wir den besagten Song hörten, baten wir sie also über das Entschuldigung der Neuzeit zu sinnieren. Voilà:

„Nimmt man die gutmütige Schuld, sprechen wir vielleicht von dem Schuldigen, der einem anderen einen Streich gespielt hat, alles lacht im besten Fall. Man nimmt die Schuld gern auf sich. Die Schuld aber, die man auf sich geladen hat im Laufe der Jahre, die einem den Magen umdreht und den Wunsch nach direktem Austausch von Erinnerungen hervorruft, ist eine schwere. Dabei muss man niemanden ermordet haben, oder einer Omi ihr Portemonnaie geklaut haben. Es reicht dieses ‚hättest Du Dich doch mehr um sie gekümmert, hättest Du Ihnen doch zugehört, hättest Du nicht einfach liebevoll sein können‘. Oder die Sätze die mit ‚musstest‘ anfangen. ‚Musstest Du wirklich mit diesen Leuten abhängen, musstest Du wirklich andere Menschen beindrucken und Dich selbst vergessen? Musstest Du so tun wollen, als wärst du wer, anstatt jemand werden zu wollen, der Du dann wirklich bist…‘ Und da ist dann auch schon die universelle Frage: Was wäre wenn? Mein Albumtitel „What If“ – eine ewige Frage mit keiner Antwort.

Edith Piaf hat einst gesungen, dass sie nichts bereuen würde. Warum hat sie das gesagt? Hatte sie nichts zu bereuen? War sie so in ihrer Mitte, dass sie wusste, dass auch all ihre Fehler sie zu der gemacht haben, die sie schlussendlich wurde; oder war sie einfach auf Drogen, als sie diesen Song schrieb? Ich habe Dinge zu bereuen in meinem Leben. Sicherlich nicht auf die Art und Weise, dass ich nicht in den Spiegel sehen kann, aber es gibt Momente, da denke ich vor mich hin und dann ist es plötzlich da: dieses Gefühl. Diese Reue. Diese Schuld. Meine Entschuldigung.

Im Englischen ersetzt die Entschuldigung das einfachere ‚Sorry‘. Natürlich kann man auch von den wertigeren ‚apologies‘ sprechen, aber zumeist bedienen sich die Menschen des kleineren Bruders ‚Sorry‘. Da wir in Deutschland die Tendenz haben Anglizismen mehr als unsere muttersprachlich begründeten Worte zu benutzen, hat sich Sorry tatsächlich eingedeutscht. Aber bedeutet es auch das Gleiche? Nehmen wir überhaupt noch die Schuld auf uns, wenn wir Sorry sagen, oder machen wir es uns leichter?

IMG-20150225-WA0001Da ich die Reue kennen, musste ich dieser Frage nachgehen. Meine Reue ist vielschichtig. Sie gilt Menschen, die in meinem Leben sind, die aber vielleicht gar nicht mehr wissen, dass ich Ihnen Unrecht getan habe, mir sogar längst Vergebung geschenkt haben. Ich mir selbst aber noch nicht. Dann den Menschen, die nicht mehr in meinem Leben sind, vielleicht, weil wir einfach keine Freunde bleiben konnten oder wollten. Und auch wenn ich vielleicht sogar hinter der Trennung der beiden Leben stehe, weil sie eben nicht gepasst haben, tut mir doch meine Art aus heutiger Sicht leid und ich möchte mich entschuldigen. Und dann sind da noch die Menschen, die es einfach nicht mehr gibt. Diejenigen, die Teil dieser Welt waren und dann aus welchen Gründen auch immer gegangen sind. Bei ihnen kann sich keiner mehr entschuldigen. Da bleibt die Befreiung einzig und allein an uns kleben.

Von allen drei Kategorien habe ich diverse im ‚Keller‘. Und allen wollte ich meine Aufmerksamkeit und meine Achtung schenken, indem ich ihnen einen Titel geschrieben habe. Mein ‚Redemption Song‘. Da ich auf english, meiner zweiten Muttersprache schreibe und singe, heißt der Song nur ‚Sorry‘, gemeint ist aber ‚Entschuldigung‘. An sie und an mich. Schuld ist eine schwere Last und wenn man es schafft, sich ihrer durch Ehrlichkeit zu entledigen, kann sie eine Quelle grossen Schaffens werden. Und Hey, ein Song, was könnte eine Sängerin sonst als ‚Schaffen‘ bezeichnen.“

Cover 4