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Als 3-Jährige lernt sie Gitarre zu spielen, ein Jahr später kommt die Violine hinzu, mit neun bekommt sie ein Klavier und mit zwölf beginnt Graziella Schazad erste eigene Songs zu schreiben – die Musik ist damals ihr Ventil, um die schwierigen Verhältnisse zu Hause aufzuarbeiten. Heute setzt sie mit sanften Tönen zu weltpolitischen Themen an. Ihr neues Album „India“ ist nun raus und wir sind sehr dankbar, dass die außergewöhnliche Künstlerin auch im Interview mit Brainbitch Tacheles spricht…

Deine Tochter ist drei Jahre alt. Wie reagiert sie auf Deine Songs?
Sie singt meinen Song „You’re Bad“. Ich weiß zwar nicht warum, aber sie liebt das Lied und singt immer wieder den Chorus und grinst so süß dabei. Wenn sie wüsste, was der Songtext bedeutet…(lacht)

Wächst sie eigentlich zweisprachig auf?
Ich habe in der Schwangerschaft nur Englisch mit ihr gesprochen. Ich wollte nicht, dass sie fremdelt, wenn wir die Familie im Ausland besuchen. Als sie dann auf der Welt war, war mein erster Impuls, Deutsch mit ihr zu sprechen. Und jetzt so langsam merke ich, dass es wieder Zeit wird für einen Switch. Wir sind so viel in New York und dann tut mir das leid, dass sie sich nicht mit anderen Kindern verständigen kann.

Auf Deinem neuen Album sprichst Du ernste Themen an…
Ja, im Song „India“ geht es um diese schreckliche Vergewaltigung der Studentin, die  im Bus in Indien so grausam zugerichtet wurde und dann auch starb. Das ging vor etwas mehr als zwei Jahren durch die Medien und diese schlimme Geschichte hat mich dazu bewegt, das Thema mit meiner Musik anzusprechen.
Und dann gibt es noch den Song  „How Many People“, inspiriert von einem kleinen Jungen, der mit seinem Vater aus dem Syrienkrieg geflohen ist und alles verloren hat. Er wurde dann hier zum Vorzeigeobjekt, nach dem Motto ‚Deutschland kümmert sich um die Flüchtlinge. Schaut her, er kann nach sechs Wochen schon rechnen und Deutsch.‘ Und dann musste er vor allen Leuten blöde Matheaufgaben lösen. Ich fand das so banal nach so einem Schicksalsschlag. Natürlich müssen  Flüchtlinge integriert werden und man muss das Thema auch ansprechen, aber andererseits würde ich mir erst mal wünschen, dass die Menschen psychologische Hilfe bekommen. Da hast du Mutter und Geschwister verloren, deine Heimat wurde zerbombt und dann musst du in deiner neuen Welt sofort funktionieren. Das hat mich fix und fertig gemacht.

Wie fühlst du Dich als Frau, wenn Du in Indien unterwegs bist?
Das erste Mal als ich in Indien war, trug ich ein Tanktop in einer Stadt wie Delhi. Ich wurde angestarrt von Gruppen von Männern. Ich dachte damals, ich sei weit in meiner kulturellen Entwicklung, aber das war falsch: Ich bin in der Situation durchgedreht und hab die Männer zurückangestarrt, wollte mich als Frau behaupten. Heute trage ich immer ein Tuch auf dem Kopf, das für mich wie ein unsichtbarer Code funktioniert. Niemand interessiert sich mehr für mich und ich kann als Teil von Indien das Land erleben.

Wann denkst Du, wird sich die Lage in Indien verbessern?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass viel passiert. Allerdings werden wir den Wandel nicht mehr erleben. Das wird bestimmt 500 oder 600 Jahre dauern, bis sich die Bildung, die Armut und die Rolle der Frau normalisiert hat. Das ist in Gang gesetzt, dafür ist zu viel passiert und die Medien haben Wellen geschlagen.

Welche Problematik hast Du in Deinen Songs noch nie angesprochen, möchtest Du aber mal thematisieren?
Die Grauzone in Bezug auf Kindesmissbrauch. Mir geht es speziell darum, dass man sich nicht traut, das Thema anzusprechen. Obwohl man so vielleicht etwas verhindern könnte. Oft passiert das im nahen Umfeld oder in der Familie, aber man traut sich nicht dem Gefühl zu vertrauen, dass etwas komisch ist oder dass man mit einem Mensch zu tun hat, der Neigungen zu haben scheint. Mir wird nämlich immer bewusster, wie groß das pädophile Netzwerk ist und dass das bis in die obersten Etagen geht. Diese Menschen sind so vernetzt und mächtig, dass man schnell in seine Grenzen gewiesen wird, wenn man das Thema anspricht. Klar, ist es das Schlimmste, wenn du das von einem Menschen vermutest, den du kennst. Ich verstehe voll, dass es das Letzte ist, was man sehen will.

Wo beginnt für Dich Missbrauch?
Ganz klar im Kopf. Genauso wenig wie eine Ehe nicht vor fremdgehen schützt, so schützt auch kein anderer Status gegen solche Gedanken. Man muss sich da selbst ganz klare Grenzen setzen und darüber reden. Im Prinzip geht es mir darum, die Verantwortung für seine Gedanken zu übernehmen und Assoziationen im Gehirn zu stoppen. Ich sehe an meiner Tochter, dass es selbst bei einem Kleinkind Entwicklungsphasen gibt, in denen es sich extrem frei bewegt und das ist reizvoll. Wenn ich sehe, wie meine Tochter auf jeden Mann zugeht und ihr Kuscheltier auf den Schoß eines Mannes wirft, um Kontakt aufzunehmen, dann handle ich auch: Dann muss ich ihr beibringen, dass man nicht jeden anfassen darf. Ich weiß ja nicht, was sich in manchen Köpfen alles abspielen kann.

Was hat Dich für dieses Thema sensibilisiert?
Zum einen bin ich nun Mutter und mache mir Sorgen, zum anderen habe in meinem engen Umfeld nicht nur eine Freundin, die jahrelang von einem Familienmitglied missbraucht wurde. Das ist so furchtbar und ich denke, dass man mit Aufklärung etwas bewegen kann. Es geht um die Leute, die etwas ahnen, die müssen handeln, bevor es zu spät ist.

Deinen Songs und Deiner Biografie kann man entnehmen, dass Deine Kindheit nicht einfach für Dich war. Verstehst Du Deine Eltern besser, seit Du selbst Mutter bist?
In Bezug auf die Beziehung zu meinen Eltern gab viele verschiedene Phasen bei mir: Verdrängung, Verständnis, Rebellion, Trotz, Akzeptanz…Nachdem ich Mutter geworden bin, kam noch mal ein großer Schmerz, weil ich erst recht nicht verstanden habe, warum das bei uns Zuhause so war. Ich finde, das liegt in der Natur, dass Mütter und Väter automatisch fühlen und schützen. Dass dann aber andere Dinge so groß waren, dass diese Automatismen nicht mehr gegriffen haben, das hat mich schockiert. Und jetzt bin aber an einem Punkt, wo ich auch meiner Tochter zu Liebe keinen Konflikt mehr haben möchte. Ich kann in meiner Entwicklung stehen bleiben und streiten oder aber ich habe guten Kontakt und leite die Familie in ein friedliches Miteinander.

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                                                                                                 Fotos: LukaszChrobok, Lisa Drewes