In der Theorie komme ich gut mit dem Tod klar. Als Journalistin habe ich schon über die fünf Phasen der Trauer geschrieben und dafür mit Psychologen über die Bewältigung gesprochen – und als realistischer Mensch ist mir klar, dass Menschen eben sterben. Trotzdem: Der Anruf am Wochenende, dass meine Oma Mathilde plötzlich verstorben ist, traf mich bis ins Mark. Ich gehörte bis Samstag Nacht zu den Glücklichen, die noch nie mit dem Tod in der Familie zu tun hatten. Mit 28 Jahren noch Omas zu haben, klingt bestimmt für viele wie Luxus. Für mich war es bis jetzt greifbare Wärme.
Allgemein sagen Therapeuten, dass jeder anders mit seiner Trauer umgeht – die einen leiden impressiv, die anderen verdrängen expressiv. Wer es allerdings in sechs Monaten nicht schafft, zur Phase der Akzeptanz zu kommen, sollte sich psychologische Hilfe suchen. Einig sind sich die meisten: Das Thema Tod wird in Deutschland aus dem Alltag verbannt.
Ist es nicht so, dass einem etwas, über das man nicht spricht, mehr Angst macht? Und warum kennt man nur Bilder vom schaurigen Sensenmann? Warum kann der Tod nicht ein entspannter Typ sein, mit langem Bart und seligem Lächeln? Da bewundere ich die Mexikaner: Der Día de los Muertos (Tag der Toten) ist ein freudiger Tag, alles ist bunt geschmückt und aufwendig zusammengetragen, man feiert und trifft die Familie. Ist es nicht viel schöner die Toten zu feiern als zu beweinen? Dankbar für die Zeit zu sein, die man mit dem Menschen verbrachte und nicht traurig, dass man ihn nicht mehr bei sich hat?
Ich habe für mich beschlossen, ein bisschen mexikanischer zu trauern: Ich habe meine Tränen getrocknet, weil ich für Mathilde lächeln wollte. Sie liebte mein Lächeln – und außerdem meine bunten Kleider. Outfitchange. Allein die bunten Kleider haben an der Tristesse meiner Gefühlswelt gerüttelt. Dann habe ich eine Kerze angezündet und die Erinnerungen in knapp drei Jahrzehnten mit ihr ins Jetzt geholt. Plötzlich fiel mir auch viel wieder ein, was man in seinem Hipster-Alltag weit weg von der Familie vergisst: Wie sie mich früher immer beschützt hat, wenn ich kindlich etwas verbrochen habe, wie sie mit mir für die Schule das Gedicht mit den Spatzen auswendig lernte, wie wir gemeinsam beim Lernen auf dem Küchentisch eingeschlafen waren und welche Freude sie dabei hatte, mit meinen kräftigen Haaren bei anderen Omas anzugeben.
Und dann waren da noch diese Schätze aus der Küche, die ich nur bei ihr finden konnte: Ihr Zopfbrot, das sonntags duftete. Die Toblerone, die es immer als Belohnung gab. Das Malzbier, das mir nur bei ihr schmeckte. Und unser gemeinsames Lieblingsessen: Die Nudelsuppe. Die habe ich an meiner privaten Feier gekocht und dabei fest an meine Freundin im Jenseits gedacht. An ihr Talent, die Dinge nicht so ernst zu nehmen.
Den Tod nicht so ernst zu nehmen, das geht wohl mit seiner Endgültigkeit schlecht – aber man kann zumindest mit ihm lachen. Und das habe ich jetzt.