Wenn dich keine Selfiestange erschlägt, wenn keine Ex-Teenies den Tokio-Hotel-Twins jetzt aber wirklich die Zungen ins Ohr stecken, dann wenn die Touris schlafen, ja genau dann wird Madame Tussauds für Brainbitch interessant. Wir haben uns nachts in das Wachsfigurenkabinett eingeschlossen, um den ganz besonderen erwachsenen Ladies (ein cheesy Wortwitz darf erlaubt sein) das zu sagen, was wir schon immer wollten. Sie hatten nichts dagegen, wirklich.

Und so beginnen wir die kleine Reihe „Nachts bei Madame Tussauds“ mit Hildegard Knef. Applaus bitte.

BeitragHildeKnef

Hallo Hilde,

sollen wir dir erst einmal eine Zigarette anstecken?…

Du wärst in dieser Woche 90 geworden. Dann wären es neun Jahrzehnte Widerspenstigkeit gewesen. Aber in 76 Jahren hast du wohl auch schon ausreichend angeeckt. Warum du in dieser Nacht einen runden Sticker mit dem schreienden Label „Brainbitch“ auf der Brust trägst? Das weißt du. Du liebtest die Kunst, die Provokation, den unbequemen Weg.

Du warst eine Frau, die sich fast schon wie ein Mann benahm. Immerhin machtest du, was du wolltest. In einer Zeit, in der Frauen eben brav zu sein hatten. Du erzähltest von deiner spektakulären Flucht als 18-Jährige aus dem zerbombten Berlin. Sogar als Mann verkleidet, in Soldatenuniform aus dem russischen Gefangenenlager. Im Film „Die Sünderin“ spieltest du 1951 eine Prostituierte und die sekundenkurze Nacktszene ließ Deutschland beben. Auch die Thematisierung von wilder Ehe, Vergewaltigung und Selbstmord passte nicht in das Stumm-Bild der Zeit. Priester warfen Stinkbomben in die Vorstellungen. Hoch sollst du leben!

Hildegard_Knef_911-9779

Du hast daraufhin eben Hollywood in dich verliebt gemacht. Danach England und Frankreich. Deine Filmkarriere war immer wieder holprig, wie dein ganzes Leben. Na und, next level shit. Dann wurdest du  Grande Dame des Chanson. Mit „Er war nie ein Kavalier“ und deinen vielen charmanten, intelligenten, ironischen und manchmal frechen Ratschlägen fürs Leben und das Scheitern mit Ansage, holtest du dir die Liebe von Mama Deutschland zurück.

Anfang der Siebziger hat dich dann der Krebs zum quälenden Tanz aufgefordert. 58 Operationen lang dauerte dieser. Immer schön dokumentiert von der Boulevardpresse. Das tat weh. Aber eine Hildegard Knef lässt sich nicht unterkriegen, stehenbleiben kam nie in Frage: Du fingst an zu malen, Bücher hast du auch geschrieben. 1997 gabst du in Leipzig sogar dein Debüt als Modedesignerin für Golden Girls.

Am 1. Februar 2002 endete um zwei Uhr früh in Berlin der Ritt auf deiner Achterbahn. Du bist gestorben als Inspiration und Motor vieler Frauen und vor allem für die Künstler. Wir sind uns auch ganz sicher, dass du dich riesig über die vielen jungen Talente gefreut hättest, die dir nun zum Geburtag das Tribute-Album „Für Hilde“ bastelten. Basteln, weil nicht einfach deine größten Hits nachgesungen wurden. Ja, du findest auf der CD schon auch ein „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, aber  viele Musiker haben deine Texte umgeschrieben. Die Musik neu interpretiert. Sogar unveröffentliche Zeilen wurden zur runden Leichtigkeit vervollständigt. Eine Frau, die den Stillstand hasste, würde das lieben.

Hildegard_Knef_922-2014

Fotos: Nationaal Archief