Ich bin kein alter Mann mit schütterem Haar, offenem Mund und Videokamera in der vor Wolllust zitternden Hand; bin kein Vorstadt-Proll mit viereckigen Bildschirm-Porno-Augen und 90er-Piercing obendrüber. Und ich bin auch kein Mädchen mit Rüschenrock und Overkneestrümpfen, die pseudo-sexuell Bilder vom Freund inmitten der Damen mit den lustigen Namen, viel Titten und wenig Textil macht – und trotzdem bin ich hier: Als eine von 30.000 Menschen besuche ich in Berlin die berühmteste Erotikmesse, die „Venus“, die zum 19. Mal und mit dem griffigen „Jetzt wird’s sexy“, einer nackigen Micaela Schäfer (Überraschung) und der Ballermann-Blondine Mia Julia wirbt. In den Hallen 18 bis 21 – ja, direkt neben dem Quartier von 1060 Flüchtlingen am Funkturmpalais – gibt’s vier Tage lang nonstop Sex in all seinen unsexy Facetten, Liveshows, Hardcore-Filmchen, Gerätschaften und Neuheiten an Vögelei-Accessoires, Meet & Greets mit Stars der Pornoszene. Den Mädchen zum Anfassen, die fleischgewordene Männerfantasien. Für viele hier ein Traum – für mich als Frau mit Selbstwert und Idealen, mit echtem Sex und sogar echten Gefühlen ein Trauerspiel. Aber der Reihe nach.
Die Mädels
Was mich wirklich beeindruckt, ist die Geduld und Freundlichkeit der Girls. Ich beobachte die Autogrammstunde von den Webcam-Sternchen. Viele Männer filmen – natürlich nur die wichtigsten Körperteile der Frau, das Gesicht ist da überbewertet. Der Höhepunkt für viele ist hier das gemeinsame Foto, meist ungefragt packen die Jungs dann herzhaft an die Brüste der Mädels. Ach so, eine nackte Brust gleicht hier also einer Einladung. „Wenn sie nett fragen, ob sie meine Titten anfassen dürfen, dann habe ich damit kein Problem. Ist doch schön, wenn ich ihnen eine Freude damit machen kann. Wenn sie es einfach machen, dann finde ich das schon scheiße“, erklärt mir die Darstellerin Ariana Love. „Da sind die jungen Typen meist unverschämter. Die greifen einfach zu, geben dir noch einen widerlichen Spruch mit ihrer Alkoholfahne. Die alten Männer sind meist höflich.“ Erniedrigung mit Ansage. Ich will nicht zu feministisch oder auch prüde wirken, aber die plumpen Situationen hier machen mich traurig: Die Frau als Ware. Als reine Dienstleisterin des Triebes.
Das Klientel
Ich sehe zwei Jungs, die aussehen, als könnten sie meine Kumpels sein und frage sie: Warum seid ihr hier? „Wir arbeiten im Catering“, sagen sie entschuldigend. Sie fänden das Ganze zwar amüsant interessant, aber auch ganz schön bitter. Danke Universum.
Ansonsten sehe ich sehr viele Männer im Rollstuhl; sehr viele Männer, die vom Alter irgendwo zwischen meinem Vater und meinem Großvater liegen. Und Frauen, die mit ihren Männern mitgehen und einen auf aufgeschlossen machen. Ich spreche auch ein Paar an und frage nach dem Warum: „Wir lassen uns inspirieren. Holen uns Anregung und ein bisschen Appetit für Zuhause“, sagt mir ein 24-jähriges Mädchen. Angeblich macht es ihr nichts aus, dass ihr Freund (29) sich mit sämtlichen Porno-Frauen fotografieren will. „Ist doch toll, dass er seine Idole mal trifft“. Falls das ihre ehrliche Meinung ist, herzlichen Glückwunsch für so viel Toleranz. Ich würde mich allerdings fragen, was das über sein Frauenbild aussagt…
Der Style-Faktor
Wie schon gesagt, ist die Frau, die den Spitznamen Nacktschnecke trägt, in diesem Jahr wieder das Gesicht aka der Körper der Erotikmesse. No direspect, Micael Schäfer ist stets freundlich und geschäftstüchtig – und auf der Venus hat sie trotz Minimalbekleidung Klasse. Nacktsein mit Stil – sie macht sogar den Trend „Granny-Look“ mit grauen Haare mit, stylemäßig ist da also näher an Kylie Jenner als an Cindy von Marzahn. Vom Rest der Messe kann ich das allerdings nicht behaupten. Angeblich verdienen die Damen im Gewerbe doch gutes Geld, warum sind sie sich selbst nicht edle Dessous wert? Ich sehe rechts und links nur China-Polyester um mich herum. Für mich als Frau wäre das Ganze wirklich wesentlicher geiler, wenn auch was für mein Auge dabei wäre.
Das Angebot
Für 35 Euro am Tag wird viel geboten: Sexspielzeug in allen erdenklichen Größen, Formen und Farben. Pornofilmchen. Wenig Stoff für viel Geld. Live-Performances vom Stangentanz über den Strip bis hin zu den Hardcore-Shows mit Anal-Action. Es gibt viel Informationen. Zur Penisverlängerung oder Silikon-Aufmotzung. Gummipuppen und Taschenmuschis. Es gibt alles – bis auf Glamour.
Fazit
Auch wenn ich Plastik-Frauen mit pink gefärbten Haaren, XXL-Melonen und toten Augen nicht ästhetisch finde, hält diese Messe trotzdem ein großes Angebot für anders sexuell orientierte Menschen bereit. Ich freue mich, dass Menschen im Rollstuhl hier glücklich werden, im Grunde freue mich auch, dass ein Opa mit seiner Videokamera so nah ranzoomen darf, dass er die Pixel der Vagina auch Zuhause noch sehen kann. Soll jeder machen, wie er will. Der Tag auf der Messe war aufschlussreich: Allein als Besucherin habe mich nicht als Frau gefühlt, sondern als Stück Fleisch. Bereit zum Verzehr. Die Blicke dieser Männer sind widerwertig, ihr Cliquen-Geflüster a la „die ist auch geil“ ist zu laut und zu primitiv. Sogar mit Oversized-Strickpulli wurde ich nach einem Foto gefragt. Nein, danke.