Ich wollte ihn heiraten. Am besten gleich in dem imaginären Superheldenkostüm. Er war der Rächer auf dem Spielplatz, nachdem mich andere Kinder mit Sand auf der Rutsche bewarfen. Er entsagte den Stützrädern meines Kinderfahrrads und fuhr Händchen haltend mit mir in den Park. Doch vor allem gab mir mein Papa etwas Unbezahlbares mit auf den Weg: Selbstvertrauen und Willen. Mit den Jahren merkt man dann, dass der große Held doch nur ein Mensch ist, dass seine Superkraft einzig und allein die Liebe ist, dass der Papa immer älter wird und man irgendwann die Rollen von „wie geht das“ und „das ist doch ganz easy“ tauscht. Ich meine, hey, heute zeige ich ihm das Fahrradfahren bei Whats-App & Co…
Retro-Sentimentalität. An dieser Stelle erlaubt, denn es ist die Überleitung zu der Frage: Warum sind so viele Frauen Papa-Kinder? Was sagt die Psychologie dazu?
Tatsächlich ist der Vater ist die Schlüsselfigur für Frauen, beziehungweise der Kompass für die Orientierung im späteren Leben. Es ist ganz einfach: War die Beziehung zum Papa gesund und liebevoll, kann die Frau später auch normale und gesunde Bindungen aufbauen, kann selbstbestimmt und mutig durch ihr Leben schreiten. War der Alte nie Zuhause oder hat seine Rolle als Vater nicht ernst genommen, wird die Frau jedem Mann und jeder Situation später misstrauen. In Zahlen gesprochen: Einer von der University of Haifa School of Social Work geführten Studie zufolge waren 41% der Personen, die vaterlos waren oder deren Vater in der Kindheit wenig präsent war, nicht in einer ernsten Beziehung – aus Angst noch einmal verlassen zu werden.
Spiele ich mein Männer-Muster und die meiner Freundinnen im Kopf durch, geht das total auf. Klar. Die Beziehung zum Vater ist die erste und damit prägendste Verbindung zu einem Mann, die wir als Mädchen erleben. Was in dieser Vater-Tochter-Beziehung stattfindet, stellt die Weichen für alles Zukünftige. Das gilt für die Liebe wie für den Beruf. Psychologen sind sich einig, dass es diese drei Säulen braucht: Bestätigung, Anerkennung und Respekt durch den Vater.
Eine Studie der Universität von Vanderbilt in den USA hat sogar Folgendes rausgefunden: Mädchen, die sich gut mit ihrem Vater verstehen, tendieren dazu sich körperlich später zu entwickeln, während Mädchen, deren Vater wenig präsent ist, frühzeitig in die Pubertät kommen! Papas, die die körperliche Veränderung ihrer Kleinen nicht wahr haben wollen oder sogar noch das erwachsen werden zu unterbinden versuchen, hemmen die freie Sexualität des Nachwuchses.
Und jetzt wird’s scary: Frauen suchen sich Ehemänner, die ihren Vätern nicht nur charakteristisch, sondern auch noch äußerlich ähneln. Amerikanische und ungarische Wissenschaftler haben in einer Studie bestätigt: Je inniger dabei das Verhältnis von Vater zu Tochter in deren Kindheit gewesen war, desto stärker ausgeprägt war die Ähnlichkeit mit dem späteren Ehemann.
Also lässt sich im Gegenzug auch so der volksmündliche Vaterkomplex erklären? Ja, der Begriff Vaterkomplex leitet sich aus Studien des Psychoanalytikers Carl Gustav Jung ab und gilt als weibliches Gegenstück zum Ödipus-Komplex. Beide Bezeichnungen stammen aus der griechischen Mythologie und bezeichnen die Idealisierung des gegengeschlechtlichen Elternparts. Der Begriff Vaterkomplex ist in unserer Gesellschaft negativ behaftet, weil er in den Köpfen der Menschen hauptsächlich mit einem Mangel an väterlicher Zuwendung verknüpft wird. Man denkt sofort an die Frau, deren Papa früh verschwunden ist und sich deshalb einen alten Knacker mit weißen Haaren sucht, der sie auffängt. Es muss aber weder drastisch noch negativ sein, das bedeutet eben wie oben erklärt nur, dass man das mit dem Vater erlebte auf andere Männer projiziert.
Nach dieser Recherche muss ich sagen: Ich sehe das Heldenkostüm von Papa wieder. Weil er für mich da war und ich deshalb keinen Knacks bezüglich Männer habe. Halleluja.