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„Wenn die Coverversionen als Audiograffiti definiert werden, dann sind die eigenen Songs von Schatten und Helden musikalische Van Goghs oder Rembrandts, aufgehängt in einem Berliner Szene-Atellier“  – ganz schöner Satz als Band-Info auf der Facebook-Seite von Schatten und Helden, ganz schöne Ansage. Das Duo startete zunächst youtubisch mit souligen Versionen ihrer liebsten deutschen Rapsong. Nachdem Kollegah, Curse, Kool Savas, Olli Banjo oder Bass Sultan Hengzt die Videos ihrer Remake-Songs in ihren Netzwerken teilten, schlugen die mutigen Maskierten Wellen im Internet. Jetzt veröffentlichten die beiden gerade ihre erste EP „hgwrts“ und beweisen, dass auch die eigenen Songs echt was können. Wir treffen die Stimme der Band zum Interview – ihr Name bleibt ein Geheimnis, doch ihre Kunst sollen alle kennen.

Der Begriff Audio-Graffiti klingt super, kannst du euer Genre erklären?
Audio-Graffiti beschreibt das, was wir tun. Wenn man im übertragenen Sinne die bereits bestehenden Songs als fertige Bauwerke sieht, dann bemalen wir diese mit allen Farben und Formen, die wir uns vorstellen können. Es geht nicht darum, das Rad neu zu erfinden bzw. das Gebäude neu zu errichten, sondern lediglich einen neuen, vielleicht schöneren, vielleicht bedrückenderen Anstrich zu verpassen und  da wir vorher nicht um Erlaubnis fragen, sondern einfach machen, ist es auch eine gewisse Grauzone, bei der keiner so richtig weiß, wie der ‚Besitzer’ reagiert. Das  macht es spannend. Dieses Genre bezieht sich jedoch nur auf unsere Cover. Unsere eigenen Songs sind Urban Pop.

Ihr habt Rap-Songs neu interpretiert – manche Zeilen machen für dich als Frau keinen Sinn, werden die umgeschrieben oder siehst du das als Kunst an?
Es gibt durchaus hier und da Zeilen, die beispielsweise aus einer männlichen Perspektive geschrieben wurden und die nicht funktionieren würden, wenn ich sie singe. Aber sonst greife ich, aus Respekt der Künstler gegenüber, relativ wenig in die bestehenden Texte ein. Es verhält sich hier ähnlich wie bei literarischen Zitaten.

Gibt es Rap-Songs, die du als frauenverachtend wahrnimmst und deshalb nicht covern würdest?
Wenn mich ein Song in irgendeiner Form beleidigen sollte oder mir textlich nicht zusagt, dann schafft es dieser erst gar nicht auf unsern Cover-Radar, weil wir diese Nummer dann auch nicht privat hören. Aber grundsätzlich stimme ich Afrob zu, der einmal im Song „Rap ist“ sagte: „Und jetzt zum Schluss, Rap ist nicht frauenfeindlich. Selbst den schmutzigsten Text feiern Frauen heimlich.“ Auch ich benutze manchmal Worte im Alltag, die eventuell dem Einen oder Anderen nicht in den Kram passen könnten – aber ich scheiß darauf. Da bleibe ich mir selbst treu.

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Wie weit ist derbe Sprache für dich okay – was würdest du deinen Eltern noch vorspielen?
Meine Eltern sind ja auch nicht aus Zucker. Ein Maler würde nie aus Rücksicht seiner Familie gegenüber ein Bild nicht vollenden, weil es beispielsweise sexistisch rüberkommen könnte. Das macht ein Musiker auch nicht. Es ist eher so, dass ich meinen Eltern durch unsere Cover meine Liebe zu Rap näher bringen wollte und ihnen Songs zeigen konnte, die sie sich im Original vielleicht niemals angehört hätten.Ist es einfacher mit Cover-Songs zu punkten oder ist das Publikum – und gerade die Fans der Originale – kritischer?
Meiner Meinung nach ist es sogar sehr schwer, mit einem schon bestehenden Song Aufmerksamkeit zu generieren. Rein zahlentechnisch, sprich Klicks auf Youtube oder Likes auf Facebook, ist es einfacher, durch Cover eine größere Reichweite und entsprechend Aufmerksamkeit zu generieren. Dennoch steht und fällt alles mit der Qualität des Covers. Ich stufe es deshalb als relativ anspruchsvoll ein. Man hat einen vorgegebenen Text, eine vorgegebene Melodie und ein bestehendes Instrumental. Der Song, den man sich aussucht, ist meistens schon komplett ausproduziert worden und die Künstler haben sich ihre Gedanken zum Arrangement, Text und Instrumental gemacht. Dieses vorhandene Konstrukt zu nehmen und komplett neu zu arrangieren und eventuell umzuschreiben, oder dem Rap eine Melodie zu geben, ist eine Sache die man schnell unterschätzt – zumal die Fans dieser Songs natürlich eine bestimmte Emotion mit dem Original verbinden und viel kritischer mit Dingen umgehen, die ihre Erwartung nicht erfüllen.

Cover-Songs sind Zeitgeist. Im Radio laufen ständig neue Versionen von 90-er Hits- Wie erklärst du dir das?
Ich selbst bin kein Radio-Fan. Ich finde es zwar schön, dass Elemente der 90-er immer häufiger wiederverwendet werden, allerdings muss man auch sagen, dass im Radio immer nur das gespielt wird, was im Radio funktioniert. Leider gibt es nur extrem wenige Sender oder Shows, die sich trauen, aus dem 0815-Radio-Fahrwasser auszubrechen. Die Künstler sagen sich dann: Was liegt da näher, als alte, bekannte und bereits funktionierende Hits in ein neues Gewand zu packen. Zum Einen fühlt der Hörer eine gewisse Nostalgie, zum Anderen klingt es aber durch einzelne Elemente dann doch irgendwie neu und modern. Ich glaube aber, man kann dieses Hörerlebnis auch mit anderen Songs erreichen und möchte dann gleich mal in eigener Sache auf unsere nächste Single mit dem Titel „Aphrodite“ verweisen. Dieser Song erfüllt genau diese Standards. Ich bin gespannt, ob sich Radiostationen trauen, die Nummer zu spielen.

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Was hat euch zu euren neuen Songs inspiriert?
Alles inspiriert. „In“ steht für das Eintauchen in etwas und „spirare“ für das Atmen. Wir tauchen in unsere Welt ein und nehmen mit jeder Faser unseres Körpers Dinge auf, die uns passieren. Unsere Songs und meine Texte sind deshalb sehr persönlich. Wir legen alles offen. Unseren gesamten Alltag. Musik, die wir hören. Gefühle, die wir empfinden. Der Geruch von frischem Kaffee. Die Menschen, die uns umgeben. Die Stadt. Das Wetter. Unsere Musik ist fast immer eine Momentaufnahme, wie ein Tagebucheintrag – und alles was bis zu diesem Moment hin geschehen ist, dient als Inspirationsquelle. Wenn man zum Beispiel darauf anspielt, dass ‚hgwrts‘ von Hogwarts abgeleitet ist und das erahnen lässt, dass ich beim Texten von Harry Potter beeinflusst worden bin, dann kann ich das sicher nicht verneinen, aber der Einfluss ist nicht größer als der von anderen Dingen, die durch bestimmte Worte in diversen Textstellen thematisiert worden sind: Facebook, Alltag, Kummer, Freunde, Neid, Druck, falscher Ehrgeiz…Warum trägst du eine venezianische Maske? Hast du Angst vor dem Rampenlicht?
Das Rampenlicht hat Angst vor mir, deshalb maskiere ich mich. (lacht). Spaß beiseite. Ich sehe meine Maske als Stilmittel an. Je nach Gefühlslage und Show wird sich sicherlich auch das ein oder andere Detail ändern. Zurzeit trage ich eine Maske im venezianischen Stil. Ich habe durch meine italienischen Wurzeln eine starke Emotion und fühle mich deshalb sehr damit verbunden. Sie verkörpert mich. Gleichzeitig schafft diese Maske eine metaphorische Verbindung zum Hörer. Wir  legen großen Wert auf den Inhalt unserer Songs und es wäre schade, wenn sich jemand nicht damit identifizieren kann, weil er findet, dass ich demjenigen total unähnlich sehe. Die Maske ist abstrakt und dahinter kann sich rein theoretisch jeder von uns befinden.

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annst du dir vorstellen, sie mal auf der Bühne abzunehmen?
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wichtig ist mir vor allem die Musik, die wir präsentieren, und nicht, wie wir aussehen. Nur wenn wir uns wohlfühlen, können wir das Gefühl auch den Zuhörern vermitteln – alles andere wäre nicht echt.

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Die deutsche Musikszene ist von Männern dominiert – welche Sängerinnen in Deutschland feierst du?
Miss Platnum und Joy Denalane sind für mich großartige Künstlerinnen.Wie schätzt du die Zukunft ein, wird es wieder eine Ära von Girlbands oder mehreren Rapperinnen geben?
Ich glaube zumindest, dass die Akzeptanz von Frauen-Rap noch größer wird, als sie momentan schon ist. Ob es dadurch aber mehr Girlbands und Rapperinnen geben wird, wird sich zeigen. Ich habe bisher die Erfahrung gemacht, dass sich Qualität durchsetzt, egal welcher Hype herrscht. Ich würde mich freuen, wenn sich mehr Frauen etablieren würden, aber dann muss man von den Frauen auch verlangen, dass sie sich treu bleiben. Sie dürfen nicht plötzlich ihr Image verwässern, um zum Beispiel dann doch im Radio stattzufinden oder mal mit irgendeinem Star ein Duett machen zu können. Also, lasst euch nicht bequatschen und vertraut auf eure Fähigkeiten und eure künstlerischen Talente. Klar, gibt es vielleicht mal die ein oder andere Frau, die kurzzeitig mehr gehypt wird als ihr, aber eine Musikerkarriere ist kein Sprint, sondern ein Marathon.

Fotos: Martin Roehr