BB.SexuelleBelästigung_37

Wir müssen reden: Kann es sein, dass die Diskriminierung von Frauen so weit geht, dass man ihr noch nicht einmal sexuelle Belästigung zutraut? Laut Statistik gehen 99 Prozent der sexuell motivierten Übergriffe in Deutschland von Männern aus. Das kann nicht sein. Nachdem ich selbst eine Begegnung mit einer aufdringlichen Fummel-Frau hatte und diese Zahl sah, stelle ich mir nun die Frage: Ist sexuelle Belästigung, die von Frauen ausgeht, es etwa nicht wert, gemeldet zu werden? Oder werden diese Annäherungsversuche mit Grabbelfaktor als grundsätzlich harmlos eingestuft?

Aber der Reihe nach: Manchmal bin ich schwer von Begriff. Vor allem wenn es ums Anbaggern geht. Wenn es um Landungsversuche einer Frau geht, dann muss man mich schon angrabbeln, bis ich es checke. Und so geschah es: Als sie sich erkundigte, ob ich einen Freund hätte, dachte ich mir nichts, als sie sagte, sie sei lesbisch, dachte ich mir auch nichts. Warum auch? Aber spätestens, als sie mich auf den Mund küsste, meine Beine auseinander drückte und mich auf ihren Schoß zog, war mir das doch etwas unangenehm. Es passierte im Arbeitsumfeld und die Lady, wohlgemerkt eigentlich eine super coole Frau, ist mir quasi übergestellt. Nach der seltsamen Büro-Begrapschung dachte ich über sexuelle Belästigung nach. Übertrieben? Naja, wenn das ein männlicher Vorgesetzter machen würde, hätte ich spätestens beim Beine-Spreiz-Drücker Alarm gemacht. Beim Kussversuch hätte er meinen Händeabdruck im Gesicht und würde er mich auf seinen Schoß ziehen, würde ich seinen Vorgesetzten hinzuziehen.

Nimmt man sexuelle Belästigung einer Kollegin also weniger Ernst? Ist es allein der Fakt, dass man sich nicht körperlich unterlegen fühlt? Dass sie keine Bedrohung in diesem Sinne ist? Irgendwie schon krass, dass man lesbische Anbandelsversuche nicht so ernst nimmt. Die ganze Situation an dem Abend war zwar komisch, aber ich habe es in dem Moment viel mehr als Kompliment statt als Angriff gesehen.

Als ich im Zuge dieses Vorfalls recherchiert habe, bestätigte die Statistik von „Terre des Femmes“ mein Gefühl. Deren Studien ergeben, dass sexuelle Belästigung nur von knapp 2 % der Frauen in Deutschland ausgeht. 10.000 Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Jahren wurden befragt. Das kann doch beim besten Willen nicht sein! Und somit ist meine These ja bestätigt: Da Lesben von der Gesellschaft weniger ernst genommen werden, werden es auch ihre touchy Flirtations. Wie unfair.

Auch Dr. Marco Pulver von der Schwulenberatung Berlin erzählt mir, dass die gleichgeschlechtliche Liebe unter Frauen einen anderen Stellenwert hat, als die von heterosexuellen Paaren oder auch homosexuellen Männern. „Lesbisch-Sein wird sehr oft als Phase oder als kurze Orientierungs-Schwäche wahrgenommen. Es fehlt noch immer an Akzeptanz.“ Zusätzlich taucht lesbischer Sex nach wie vor in der Öffentlichkeit meist nur als Anheizer der männlichen Porno-Fantasie auf.

Also: Ich nehme Lesben ernst. Ich bin zwar größte Verfechterin der Frauenfreundschaft, doch für mehr gehören auch in diesem Fall zwei Parteien. Bedrängnis ist Bedrängnis, da denke ich nicht in Geschlechter-Stereotypen.

Foto: Greg Raines