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„Mein Name ist Katharina Leithoff und ich bin Mitgründerin der Refugee Law Clinic der Universität Hamburg. Wir sind momentan knapp 50 Studierende der Rechtswissenschaften und geben seit letztem Jahr kostenfreie Rechtsberatung für Geflüchtete. Durch diese Arbeit treffe ich auf unglaubliche Schicksale und lähmende Ungerechtigkeit. Das Gesetz „Asylpaket II“ wird die Situation meiner Meinung nach für viele Menschen verschlimmern:

Erst letzte Woche ist ein Fall in den Medien bekannt geworden, bei dem die Familie – Frau und Kind – eines Flüchtlings, der in Hamburg lebt, im Mittelmeer ertrunken ist. Dass sich Frau und Kind in die Boote begeben haben, lag höchstwahrscheinlich daran, dass die Situation immer unerträglicher wurde und sie schon zu lange auf ihre Visaerteilung warten mussten. Nun soll im Asylpaket II der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte zwei Jahre lang komplett ausgesetzt werden. Im Klartext bedeutet dies, dass allein ungefähr ein Fünftel der Syrer nicht die Möglichkeit haben wird, ihre Familien aus den Kriegsgebieten her zu holen. Des Weiteren wurde zugestimmt, dass auch der Elternnachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zwei Jahre ausgesetzt werden soll.

Wenn das Asylpaket II tatsächlich so umgesetzt wird, bedeutet das, dass Familien der legale Nachzug verwehrt bleibt und ein Großteil der Frauen und Kinder sich auf eigene Faust Richtung Deutschland begeben werden. Auf der Balkanroute und auf dem Mittelmeer werden sie dabei erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt und wie eben bereits erwähnt, gibt es ein hohes Risiko, dass sie die Flucht nicht überleben werden. Zum Anderen bedeutet es aber auch, dass die meisten Jugendlichen, keine Chancen mehr haben werden, ihre Eltern zu sich zu holen, da der Anspruch auf Elternnachzug mit Vollendung des 18. Lebensjahr erlischt und wer kann schon sagen, ob die Eltern die zwei Jahre in den Kriegsgebieten überhaupt überleben?

Wir sind menschen- und verfassungsrechtlich daran gebunden, das Gut der Familie zu schützen. Gerade traumatisierte Kinder aus Kriegsgebieten haben ein besonders hohes Schutzbedürfnis, dem das Asylpaket II nicht nachkommt. Wie soll ein deutscher Beamter unter Anwendung der Härtfallregelungen entscheiden, dass hier ein solcher Härtefall vorliegt, wenn es keine geregelten Voraussetzungen dafür gibt? Wie gefährlich muss ein Krieg sein und wie zerstört ein Kind, damit es ohne seine Eltern nicht leben kann?
Wie kann es sein, dass ein deutsches Gesetz diese Frage überhaupt stellt?

Asylpaket2Auch haben wir in unserer Beratung häufig Schutzsuchende aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern. Für diese Geflüchteten soll auch in Zukunft das beschleunigten Verfahren gelten. Während der gesamten Zeit des Asylverfahrens sollen Menschen aus sicheren Herkunftsländern in isolierten Aufnahmezentren, welche grenznah irgendwo auf dem Land sind, untergebracht werden. Aber welche Herkunftsländer gelten eigentlich als sicher?

Afghanistan zum Beispiel, ein Land um welches seit Jahrzehnten Krieg geführt wird und momentan die Talibane wieder besonders gegen Frauen und Minderheiten, wie beispielsweise Hazara vorgehen.
Die Türkei soll auch ein solches werden. Ein Land, welches einen offenen Militärkrieg gegen die zivile kurdische Bevölkerung im eigenen und in den Nachbarländern führt; wo die kurdische Zivilbevölkerung von dem staatlichen Militär eingekesselt wird. Egal von wem der grausame Anschlag vorgestern verrichtet wurde – dies ist keine Legitimation gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen. Zu dem löst dieser Anschlag noch mehr Unsicherheiten aus, auch bei denjenigen Flüchtlingen, die nichts mit dem Kurdenkonflikt zu tun haben. Kann man sowas als sicher bezeichnen?
Auch der Westbalkan wird als sicher eingestuft: Ob diese Länder tatsächlich sicher sind, wird an Maßstäben gemessen die besonders den Minderheiten der Länder nicht gerecht werden.
Minderheiten, wie die Roma haben dort gar keine Rechte; wenn sie im Westbalkan ankommen, wird ihnen als Schlafplatz eine Müllhalde oder die Brückenunterführung angeboten, es gibt keinen Schutz vor Übergriffen seitens der Bevölkerung oder der Polizei und auch der Zugang zu Bildung und Arbeit bleibt verwehrt. Wie kommt man dazu diese Zustände als sicher einzustufen?

Momentan fragen sich immer mehr Schüler Hamburgs, wo ihre Mitschüler und Freunde auf einmal geblieben sind? Sie sind einfach nicht mehr zur Schule gekommen.
Das liegt daran, dass man momentan Roma-Familien in nächtlichen Aktionen abschiebt, obwohl sie hier seit Jahren leben und ein Teil von UNS geworden sind. Auf einmal werden sie in Länder ausgewiesen, in denen sie zum Teil noch nie in ihrem Leben waren. Sie fühlen sich als deutsche Roma, waren Jugoslawen und sollen jetzt in ein Land „zurück“ gebracht werden, zu dem sie keinerlei Verbindung haben, nicht einmal die Sprache sprechen. Somit werden Roma ein weiteres Mal Spielball der Politik – nur um den besorgten Bürgern diesen Landes das Gefühl zu vermitteln, dass doch abgeschoben wird!

Die Realität sieht so aus, dass wir einen Krieg auf dem Rücken der Verletzlichsten unserer Gesellschaft führen. Den Frauen und Kindern, die sich in die Boote setzen, um zu ihrem Vater und ihrem Ehemann nach Deutschland zu kommen, weil sie es alleine in den Kriegsgebieten nicht schaffen würden; weil sie vor Extremismus, ISIS und Diskriminierung fliehen, der alleinstehende Frauen mit Kindern nicht respektiert. Es werden also in diesem Land wieder Gesetze zulasten Minderheiten erlassen.

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Ich bin ehrlich, ich spreche nicht nur als angehende Juristin, sondern auch als jüdische Mitbürgerin dieses Landes und es besorgt mich zutiefst, dass gerade Minderheiten, sowie die Roma, die Kurden oder Muslime momentan wieder so ausgespielt werden. Wollen wir wirklich ein Land sein, welches Gesetze verabschiedet, nach denen Minderheiten in isolierten Zentren leben müssen und diesen Schutzsuchenden der Rechtsbeistand fast unmöglich gemacht wird? Denn wenn sie ihre Landkreise verlassen – um zum Beispiel einen Anwalt aufzusuchen – wird ihr Asylantrag direkt abgelehnt. Es ist für Hilfsorganisationen und Anwälte schier unmöglich, in einem solchen verkürzten Verfahren, angemessenen Rechtsbeistand zu leisten.

Es ist unsere Aufgabe NICHT zwischen guter und schlechter Flüchtling zu unterscheiden, sondern allen Menschen, die hier Schutz suchen, eine realistische Möglichkeit auf Asyl zu geben. Wir leben noch immer in einem Rechtsstaat, und daher sollten die Situationen nach geltendem Recht geregelt und nicht das Recht an die Situation angepasst werden.“

Fotos: brainbitch, Metropolico.org