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Wie viel Leid und Gewalt kann eine Frau ertragen? Verkauft, gefoltert, zur Sklavin gemacht: 2014 wurde die Jesidin Jinan Badel im Irak von Dschihadisten entführt. Laut der UNO wurden bis zu 5000 jesidische Frauen von den Kämpfern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verschleppt und geschändet. Auch Jinan war Kriegsbeute vor gut eineinhalb Jahren bei dieser grausamen ethnisch-religiösen Säuberungsaktion des IS im irakischen Kurdistan. Sie war 18 und frisch verheiratet als sie von ihrer Familie getrennt und  an zwei Dschihadisten, einen Polizisten und einen Imam verkauft wird. In  Gefangenschaft wird sie zur Konversion gezwungen, misshandelt und wie Vieh behandelt. Zwölf Wochen voller Gewalt und Pein. Zwölf Wochen Hölle. Eines Nachts gelang ihr heimlich die Flucht. Heute lebt sie in vermeintlicher Sicherheit mit ihrem Mann in einem Flüchtlingslager in der autonomen Region Kurdistan. Sie wurde zur Stimme der Jesidinnen, denn Jinan hat ein Buch über ihre Zeit voller Menschenverachtung, sexueller Gewalt und Folter geschrieben. Bei Brainbitch spricht sie über ihr dunkelstes Kapitel.

Welche Erinnerung haben Sie an den Tag Ihrer Gefangennahme?
Wir waren im August 2014 vor dem IS aus unserem Dorf in der Nähe von Sindschar in die Berge geflüchtet. Männer und Frauen. Einen Tag später hieß es, dass unsere Gegend wieder sicher wäre. Bei der Rückkehr in unser Dorf wurden wir von Kämpfern des IS aufgegriffen.

Was geschah dann?
Männer und Frauen wurden getrennt. Wir Frauen kamen zuerst in das Badusch-Gefängnis nach Mosul. Die jungen, gesunden Frauen wurden dann von Ort zu Ort gebracht und verkauft.

An wen?
Ich wurde zusammen mit fünf anderen Mädchen an zwei ISIS-Kämpfer verkauft. Der eine war ein Polizist, der andere ein Imam. Diese Leute waren früher unsere Nachbarn, mit denen wir jahrelang friedlich zusammengelebt haben. Jetzt sind es keine Menschen mehr. Sie wollen jeden, der sich ihnen nicht unterwirft, töten. Sie wollen die ganze Welt beherrschen.

Wie sah Ihr Alltag in der Gefangenschaft aus?
Ich war zusammen mit fünf weiteren Frauen in einem Haus eingesperrt. Wir wurden wie Sklaven gehalten. Wir wurden vergewaltigt. Wir mussten alles tun, was uns die Männer, die uns gekauft hatten, befahlen. Folgte ein Mädchen nicht, wurde es geschlagen. Wir mussten Wasser trinken, in dem tote Mäuse lagen. Wir mussten im Koran lesen und Gebete sprechen. Sie wollten uns zwingen, zum Islam zu konvertieren.

Wie gelang Ihnen die Flucht?
Eines Abends kehrten unsere Besitzer sehr müde von der Front zurück. Als sie fest schliefen, konnte ich mit einem anderen Mädchen durch ein Fenster fliehen, das nur angelehnt war. Sie hatten vergessen es zu schließen. In der Nacht liefen wir fünf Stunden. Barfuß. Wir liefen solange, bis wir das Gebiet erreichten, dass von der kurdischen Peschmerga kontrolliert wurde.

Frau Badel, warum haben Sie ein Buch über Ihre Gefangenschaft geschrieben?
Weil mein Volk Hilfe braucht. Die Welt muss wissen, was im Islamischen Staat mit unseren Männern und Frauen passiert. Es gibt noch immer Tausende jesidische Frauen, die in Gefangenschaft leben. Solange diese Frauen nicht frei sind, bin ich es auch nicht.

Vielen Frauen, die aus der Gefangenschaft des Islamischen Staates entkommen konnten, fällt es schwer, über das Erlebte zu berichten.
Wer schweigt, macht sich zum Komplizen der Täter. Ich kann nur alle Frauen ermutigen ihre Stimme zu erheben und Zeugnis abzulegen. Die Welt muss die Wahrheit erfahren und aufhören wegzusehen.

Sie haben kein politisches Asyl beantragt, obwohl Sie beispielsweise in Frankreich die Möglichkeit dazu hatten. Warum nicht?
Asyl ist keine Lösung. Würden alle Jesiden Asyl in anderen Ländern suchen, was bliebe uns dann noch? Wir würden unser Land aufgeben, unsere Kultur. Wir würden alles verlieren, was uns ausmacht. Wir müssen die Probleme vor Ort lösen.

Haben Sie keine Angst davor, noch einmal entführt zu werden?
Doch, ich habe Angst. Aber ich möchte zu mir nach Hause.

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„Ich war Sklavin des IS. Wie ich von Dschihadisten entführt wurde und den Albtraum meiner Gefangenschaft überlebte” erschien im Januar im mvg-Verlag (14,99 Euro).

Fotos: mvgverlag