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Ninjutsu7Angst ist ein beschissenes Gefühl. Wie wäre es, der Angst einen ganz sauberen Nackenschlag zu verpassen? Bis sie zu Boden fällt und nichts mehr anrichten kann. In Deutschland wird zurzeit Angst geschürt. Eine schwarze Freundin erzählt mir, dass sie nur noch mit Pfefferspray aus dem Haus geht, weil sie ein mulmiges Gefühl hat. Eine weiße Freundin meidet nun abends strikt öffentliche Plätze. Ist doch scheiße.

Meine Freundinnen sind keine Einzelfälle, immer wieder lese ich, dass Frauen seit den Vorfällen in der Silvesternacht anders oder weniger ausgehen und dass die Anmeldungen für Selbstverteidigungskurse steigen. Ob das wirklich so ist, will ich wissen, und frage in der Ninjutsu Akademie in Hamburg nach. Dort können Frauen neben dem regulären Training der verschiedenen Kampfkunstarten rund ums Ninjutsu jeden Dienstagabend zusätzlich einen Selbstverteidigungskurs machen: „Die Nachfrage ist tatsächlich deutlich in diesem Jahr gestiegen. Zu uns kommen aber die Mädchen, die nicht mit dem Opfergedanken rumlaufen, sondern die selbstbewusst durch die Straße gehen und sicher sein wollen“, erklärt Trainer Thomas Tröger und steckt mir ermutigend einen Gi, den schwarzen Kampfanzug, entgegen. Und schon ist der weiße Anfänger-Gürtel geknotet und ich mittendrin:

In Zweierteams sollen wir uns abwechselnd gegenseitig angreifen und verteidigen. Ich lerne meinen Kopf zu schützen, einen festen Stand zu haben, meinen Ellenbogen ins Gesicht des Angreifers zu schmettern, den gezielten Nackenschlag. Immer wieder setzt sich meine Trainingspartnerin auf mich drauf, kommt mir so lange zu nahe, bis ich endlich die Kraft aufbringe, sie von mir mit einem Kick runterzustoßen. Mein Arm schmerzt nach den präzisen Schlägen meiner fortgeschrittenen Mattenfreundin, aber ich fühle mich zunehmend stärker. Nach jeder Lektion frage ich mich natürlich, ob ich das Gelernte denn auch im Affekt anwenden könnte? Kann ich auch nur einen klaren Gedanken fassen, wenn ein Fremder im echten Leben bereits auf mir sitzt? Kann ich genügend Kraft aufwenden, wenn mich jemand ernsthaft verletzt? Sicherlich werden meine Reaktionen in Momenten der Panik anders aussehen, als die überlegten Handgriffe im sicheren Dojo. Aber: Man wird selbstbewusster. Es ist ja schon viel getan, wenn man nicht mit Angst durch die Straßen läuft, sondern im Hinterkopf hat, dass man sich verteidigen kann. Allein wie ich nach dem Kurs all meinen Freunden davon erzählt habe, alle Männer dazu aufgefordert habe, mich mal anzugreifen, um das Gelernte stolz anzuwenden.

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Thomas, um was geht es euch in dem Kurs für Frauen?
Um Techniken, die unter Stress funktionieren. Ich komme aus dem Punkrockbereich, da wurde das mit den Frauenrechten eh schon immer größergeschrieben. Seit ich eine kleine Tochter habe, ist das Thema noch mehr für mich nach vorne gerutscht: Ich finde es sehr wichtig, dass sich Frauen auch gegen 100 Kilo-Typen wehren können. Deshalb haben wir ein Programm zusammengestellt, die 15 fiesesten Techniken, die für eine Frau relevant sind. Wir gehen gezielt Situationen durch, zum Beispiel dass der Angreifer schon auf der Frau sitzt und an seinen Genitalien rumfummelt, dass der Angreifer die Frau mit einem Stein schlagen will, dass er sie würgt oder an den Haaren zieht.

Was rätst du all Deinen Schülerinnen zu Beginn?
Der beste Kampf ist der, den man nicht austragen muss: Wir trainieren hier auch, wie man auf sein Bauchgefühl hört. Wie man Sicherheitsvorkehrungen trifft, wie man umsichtig ist, wenn man sich unwohl fühlt. Wir üben sogar richtiges Schreien, denn in der Regel klingt es erst mal hysterisch, wenn eine Frau schreit. In der Paniksituation gehen viele mit der Stimme hoch und das kommt dann natürlich nicht beim Angreifer als Bedrohung an.

Das Einmaleins der Selbstverteidigung: Was muss ich wissen?
Es geht um Selbstbewusstsein: Eine starke Frau wird nicht angepöbelt. Wer gebückt geht und die Schultern hängen lässt, wird eher zum Opfer, wer allerdings wie eine Queen mit Power durch die Straßen geht, der geht man aus dem Weg. Also: Gerade gehen, geradeaus gucken und nicht auf das Handy glotzen, das verringert schon mal die Chancen, dass du angerempelt wirst. Typen, die Frauen anpöbeln, sind mental und physisch schlecht ausgestattet, sie haben Minderwertigkeitskomplexe und trauen sich an starke Frauen mit Attitüde und dieser Ausstrahlung nicht ran.

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Welche Sicherheitsvorkehrungen kann man noch treffen?
Ich bin der Meinung, dass man stets vorbereitet sein muss, vor allem wenn man nachts feiern geht: Das Handy muss aufgeladen sein. Du kannst nicht nachts aus dem Club ohne Akku torkeln und dich dann wundern, dass du nicht mehr nach Hause kommst. Wenn du etwas hast wie Pfefferspray, dann hab es immer an der gleichen Stelle. Genau wie deinen Auto- und Hausschlüssel. Im Ernstfall ist das dann ein gezielter Handgriff, dessen Schnelligkeit über Leben und Tod entscheiden kann. Wenn du eine Gruppe auf dich zukommen siehst und du hast ein ungutes Gefühl, wechsle sofort die Straßenseite. Du kannst auch schon in deinem Handy die 110 vorwählen und hab‘ eine Hand am Pfefferspray.

Eine uralte japanische Kampfkunst und junge Frauen, passt das zusammen?
Klar! Ich freue mich wahnsinnig, wenn Frauen Bock auf das harte Training haben. Ninjutsu ist meine Leidenschaft und jeder, der diesen Lebensstil lernen will, ist mehr als herzlich willkommen. Im Training spielt das Geschlecht allerdings keine Rolle, auch Sexualität hat hier nichts zu suchen. Im Dojo ist jeder gleich und das muss auch so sein, denn man kommt sich hier im Zweikampf natürlich extrem nahe, man liegt aufeinander, das ist intim und muss mit Respekt angegangen werden.

Wie nimmst du die Unsicherheit von Frauen seit der Silvesternacht wahr?
Die Nachfrage nach Selbstverteidigung ist auf jeden Fall danach gestiegen. Viele haben sich von der Panik anstecken lassen und sind verunsichert – das verstehe ich auch.  Es ist gut, wenn Frauen lernen wollen, wie man sich verteidigen kann. Zu der Angst vor Flüchtlingen muss ich aber sagen: Aus meinen Türsteherkreisen weiß ich, dass die Jungs, die im Club Stress machen, meistens die sind, die den ganzen Tag im Anzug im Büro sitzen. Die denken dann, sie müssen sich betrinken und ausbrechen. Die Flüchtlinge, vor denen die besorgten Bürger warnen, kommen in der Regel wegen ihrer Klamotten gar nicht in einen Club rein und passen davor auch niemanden ab. Natürlich prallen gerade kulturelle Welten aufeinander, und dass jemand aus Afghanistan nicht weiß, wie er sich einer Frau mit Mega-Dekolleté gegenüber verhalten soll, passiert auch. Der bekommt Ärger, wenn er sich daneben verhält, genau wie jeder andere auch. Scheiße gibt’s in jeder Farbe.

Du sagst, Selbstbewusstsein ist ein Schlüssel. Wie selbstsicher sind Frauen heute?
Es gibt noch zu viele falsch emanzipierte Frauen, die denken, dass ihnen einfach so was zusteht, weil sie Frauen sind. Zum Beispiel finde ich die weibliche MMA-Kämpferin Ronda Rousey sehr cool. Sie sagt ‚Ich bin keine Do-Nothing-Bitch. Ich kämpfe für das, was ich will und erarbeite mir ein echtes Selbstbewusstein.‘ Für mich ist Kim Kardashian zum Beispiel eine Do-Nothing-Bitch, die ist ein glorifizierter Pornostar, hat nichts geleistet und kann nichts. Trotzdem ist sie Vorbild für Millionen junger Mädchen, das finde ich schade. Meiner Meinung nach sollten weibliche Vorbilder sein wie Ronda, die hart arbeiten und etwas für Erfolge tun. Auch Ninjutsu ist harte Arbeit, aber die zahlt sich aus.

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Fotos: Brainbitch