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Ihr Vater und ihre Mutter kamen vor mehr als dreißig Jahren aus Afghanistan und Polen. Längst geduldet, integriert, eingedeutscht  – wie auch immer man das nennen mag – hat Samantha Abdul nun sechs Wochen als freiwillige Helferin in den Messehallen in Hamburg verbracht. Am Wochenende wurde sie Zeugin eines traurigen Höhepunktes der Überlastung: Die Notunterkunft wurde geräumt, weil die Messehallen mit dem Aufbau der „Hanseboot“ beginnen musste, rund 850 Menschen sind bis in die Nacht verteilt worden. Viele von ihnen wurden in den leer stehenden Baumarkt in Bergedorf verfrachtet. Schlimme Zustände. Voller Verzweiflung und Wut lässt die 25-jährige Redakteurin an dieser Stelle für brainbitch ihre letzten sechs Wochen Revue passieren. Rewind.

„Moin Moin Refugees!“ – mit diesem lässigen Slogan begrüßt die Hansestadt „seine“ Flüchtlinge. Egal wo ich bin – seit Wochen gibt es ein Thema, das jeden beschäftigt – Flüchtlinge in Deutschland. Und das ist auch gut so, denn jetzt ist der für uns Deutsche sonst so weit entfernte Krieg und seine Folgen näher gerückt denn je und der Satz „Es ist ja total schlimm was da so in der Welt passiert, aber ist ja voll weit weg“, zieht nicht mehr.
In den sozialen Netzwerken, im Radio und im TV arten täglich Diskussionen über das Verhalten der Flüchtlingsunterstützung aus und vor lauter Hass und Propaganda wissen viele nicht mehr, welche Meinung man jetzt vertreten soll und fühlt sich zu einem Pro oder Kontra gezwungen. Um mich von den medialen Einflüssen zu befreien, entschließe ich mich, mir meine eigene Meinung zu bilden und nicht nur Sachspenden abzugeben und melde mich über Facebook für die Flüchtlingskinderbetreuung in den Messehallen an.

Bewundernswert und erschreckend zugleich ist, dass die Hilfe in den Flüchtlingsheimen nicht von Organisationen stammt, sondern von normalen Bürgern jeglicher Klassen aus dem Boden gestimmt wird, die Lehrerin wird am Wochenende zur freiwilligen Helferin und aus Lieschen Müller, die mit ihrem Full-Time-Job versucht, sich finanziell über Wasser zu halten, wird die beste Freundin einer 12-Jährigen Syrerin.

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Wo viele Menschen aufeinander treffen kommt es auch zu Auseinandersetzungen – meine Freundinnen und ich streiten uns mit den Helfern der Kleiderkammer, diese wiederum lassen ihren Wut an dem Sicherheitsdienst aus und nach einem halben Tag liegen auch bei mir die Nerven komplett blank. „Massenschlägerei unter den Flüchtlingen“ – diese Headline lese ich in der Zeitung und wieder gehen die Diskussionen darüber, dass die „Flüchtlinge nicht gesellschaftsfähig seien“ los. Ich könnte heulen und lachen zugleich.

Steck 12 mehr oder minder prominente Menschen für zwei Wochen in einen Container und guck dir an, was passiert: Sie schlagen sich verbal die Schädel ein und brechen im Minutentakt in Tränen aus, weil der Haaransatz rausgewachsen ist oder die Zigaretten ausgegangen sind – und vergleiche dieses Verhalten unserer bekannten Gesellschaft mit dem der Menschen in den Notunterkünften, die von der Hand in den Mund leben. Klingelt’s?! Ich hoffe doch sehr.

Ich mache neue Bekanntschaften mit einer syrischen Familie und einem jungen Mann, der das Ziel „Deutschland“ mit seiner kleinen Tochter alleine erreicht. Diese Geschichte des jungen Mannes namens Samo berührt meine Freundinnen und mich nicht nur, weil er mit seinen Mitte Zwanzig alleine mit seiner Tochter hier angekommen ist und ihm jegliche Spur von seiner Frau und seinem einjährigem Sohn fehlt, sondern auch, weil er vom Wesen und seinem früheren Lifestyle her unser bester Buddy sein könnte. Ein gut aussehender DJ, der die Nächte zum Tag gemacht hat, dem mit seinem aufgepimpten BMW die Straßen von Damaskus gehörten und zugleich seine Familie liebevoll umsorgte – dank ihm sehe ich die Menschen nicht mehr als die „Flüchtlinge“ an, sondern Menschen, wie Du und ich, die ihr normales Leben weiterführen wollen.

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Während ich mit meinen neu gewonnenen Freunden Spaß habe und sehr viel lache, treiben mich die Kommentare und Nachrichten auf meiner Facebook-Seite zur Weißglut. „Samantha, es ist ja toll dass du dich für diese Flüchtlinge einsetzt, aber sie machen mich immer dumm an und wegen denen traue ich mich nicht mehr nach draußen, die sollen alle wieder zurück in ihr Land!“ – Ja, ich wurde letztens auch blöd von einem Mann angemacht und belästigt, dabei sprach er exzellentes Deutsch und hatte eine 2.000Euro teure Jacke an. Dummheit macht vor keiner Nationalität und sozialem Status halt. Es ist nur das Fremde, was dem Gutbürger Sorgen und Angst vor Terror bereitet.

Dankbar zeigt sich die Stadt Hamburg, bzw. die Assistentin des Bürgermeisters, der ausrichten lässt, dass wir freiwilligen Helfer einen „ganz, ganz tollen Job machen und er sehr stolz auf unser Engagement ist“. Danke für nichts an dieser Stelle, lieber Herr Bürgermeister. Die anderen Helfer und meine Wenigkeit hatten fast Pipi in den Augen, als uns diese Botschaft erreichte, natürlich vor Wut.

Die Hamburger Messehallen sind bei einer Nacht und Nebelaktion am 25.09. geräumt worden. Die Leute wurde teils mit Bussen nach Bergedorf und Jenfeld verfrachtet, sie haben es nicht mal geschafft, ihre Sachen zusammen zu räumen. Manche mussten den Weg in ein andreres Lager selber bestreiten – wie ist auch mir ein Rätsel.

Im Gegensatz zur Notunterkunft sind zuerst 100 Betten für 600 Menschen bereit, es stinkt nach Chemikalien und die Temperaturen sind vor allem nachts eisig. Es ist unverkennbar, dass die Stadt, wenn nicht sogar der gesamte Staat, mit der Situation völlig überfordert ist, so wie die freiwilligen Helfer und auch die Flüchtlinge, die teils draußen auf der Straße übernachten, weil die Halle überfüllt und extrem dreckig ist. Ich bin schockiert über die Zustände, die herrschen.

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Mein Fazit: Auf dieser Erde gibt es genug Platz für jeden einzelnen Menschen und kein Mensch ist illegal, wo auch immer sich befindet. Unser aller Grundbedürfnis ist Frieden und Liebe, diese sollten wir jedem gewährleisten. Wir sind alles Menschen und leider gehören auch unmenschliche Eigenschaften wie Fremdenhass, Extremismus und verdrehte Weltansichten dazu, diese können wir aber nicht einem ganzen Volk nachsagen. Die Angst vor Fremden, ist sowohl in der Gesellschaft nachvollziehbar, als auch in unseren natürlich verwurzeltem Instinkt zu überleben, und Fremdes einzuordnen. Medien und Politik machen dafür die richtigen Schubladen auf, und beeinflussen das Bild der Gesellschaft. Das kann Vorurteile schüren, und Stereotype schaffen. Dieser Kreis muss gebrochen werden. Wir müssen Brücken schlagen.

Mit Stolz kann ich sagen, trotz polnisch-afghanischen Wurzeln, Deutsche zu sein. Ich gehöre denen an, die anpacken und mithelfen. Diese Deutschen, die sich am Wochenende die Zeit nehmen und mit den vor Krieg, Terror und Tod geflohenen Menschen kommunizieren. Die diesen Menschen das Gefühl von Anteilnahme geben und Hoffnung schenken.
Ich bin gespannt und positiv gesonnen, dass meine syrischen Freunde und deren Kinder in paar Jahren ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft sind, so wie es heute meine Eltern und ich sind.“