Virginity

Mein Jungfernhäutchen und ich hatten nie eine spezielle Beziehung. Als ich eines Tages wusste, dass ich mich nun wohl von ihm verabschieden werde, war mir das so ziemlich egal. Ich musste schließlich zu keiner Zeit Rechenschaft für dessen Existenz mit dem vermeintlichen Blutfleck auf dem Laken ablegen. Was hatte ich für ein Glück.

Eigentlich war mir nie bewusst, dass ein Jungfernhäutchen über Leben und Tod entscheiden kann. Bis ich den Dokumentarfilm „Der Jungfrauenwahn“ von Güner Balci auf Arte sah. Darin ging es um den extremen Druck auf Muslime mit Sexleben. Vor allem was es für manche Frauen bedeutet, wenn eben kein Blut nach der Hochzeitsnacht im Bett zu finden ist. Für einige Menschen bedeutet das mindestens der Bruch mit der Familie, Ausgrenzung oder sogar die Angst vor einem Ehrenmord.

Von arabischen Freundinnen hörte ich, dass sich junge Moslems deshalb auch mit Analsex vor der Ehe austoben. So schützen sie das so heilige Jungfernhäutchen für den Versprochenen. Absurd. Genau wie die Geschäftsidee des künstlichen Jungfernhäutchens aus Deutschland, die vielen Muslimas den „Arsch rettet“. Und doch ist sie genial, ein weiterer Schritt Richtung Selbstbestimmung. Ein weiterer Schritt zum Schutz von Muslimen.

Im Internet kann man also bei der Firma Virginia Care Hymen aus zwei dünnen Zellulose-Häutchen kaufen, zwischen denen sich steriles, gefriergetrocknetes Blutpulver befindet. Die Täuschung des ehrenwerten Ehemanns funktioniert dann so:  Die Frau führt das künstliche Jungfernhäutchen nur etwa 30 bis 60 Minuten vor dem Sex ein, dann reagiert die Zellulose auf die Wärme und Feuchtigkeit im Innern der Frau. Durch die Reibung des Penis und die dadurch erzeugte Wärme lösen sich die Häutchen auf und das Pulver mischt sich mit den Körperflüssigkeiten. Was bleibt ist rote Kunst.

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„Was hätte ich bloß ohne euer künstliches Jungfernhäutchen an meinem Hochzeitstag getan? Ihr habt mir mein Leben gerettet!“, schreibt Samira in die Bewertungen auf die Homepage von Virginia Care. „Wenn es euch nicht gegeben hätte, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr hier!“, formuliert Indira noch deutlicher. Aus jedem einzelnen Kommentar geht hervor, wie dankbar die Frauen über die Erfindung sind. Ein Grund für ein Gespräch mit der Geschäftsführerin, Wannisa Srikanjanasuan.

Frau Srikanjanasuan, wie kam es zur Gründung von Virginia Care?
Reportagen und Presseberichte haben uns über die schlimme Situation von jungen Frauen, die ihre Jungfräulichkeit vor der Hochzeitsnacht verloren haben, informiert. Dem Mitgefühl folgten Inspiration und der Mut, den betroffenen Frauen zu helfen. Wir sind nun die absolute Notlösung für jene, die unter der Jungfrauen-Tradition leiden.

Können Sie etwas über die Kunden von Virginia Care erzählen: Wo gehen die meisten Bestellungen hin, gibt es eine klare Zielgruppe?
Die meisten Bestellungen kommen aus Deutschland, gefolgt von Österreich und Schweiz, ein ganz geringer Teil aber auch weltweit. Abnehmer sind fast ausschließlich Frauen mit muslimischem Hintergrund.

Wie sieht die Nachfrage des künstlichen Hymens aus. Wieviel verkaufen Sie im Monat und passiert das anonym über das Internet oder trauen sich die Frauen auch in der Apotheke danach zu fragen?
Wir haben zur Zeit etwa 70-80 Bestellungen im Monat. Davon werden 30% über Apotheken abgewickelt. Die Betroffenen bestellen es gerne in Apotheken, damit es nicht in falsche Hände gelangt. Leider wurde der Vertrieb in Apotheken noch nicht richtig angekommen, weil die direkten Zulieferer der Apotheken den Bedarf noch nicht ganz erkannt haben und teilweise dadurch auch viele Apotheken die Bestellung nicht abwickeln können, wenn Sie den Bezug nicht direkt bei uns vornehmen.

Glauben Sie, dass sich die strengen Ansichten von Muslimen bezüglich der Jungfräulichkeit der Frau absehbar lockern werden?
Wir glauben nicht, dass es ein schneller Prozess sein wird, bis sich die strengen Ansichten lockern werden. Aber durch intensive Aufklärungen der Organisationen für Frauenrechte werden sich viele Frauen diesem Brauchtum auf Dauer nicht länger unterwerfen.

Wieviel Frauen lassen ein Jungerfernhäutchen operativ rekonstruieren?
Das kommt so gut wie nie vor. Vielleicht drei Frauen im Jahr, die wir vermitteln. Unser Anliegen ist es, eine OP durch das künstliche Jungfernhäutchen zu vermeiden.

Kommen auch Männer auf Sie zu und wollen, dass die Partnerin wieder zur Jungfrau wird?
Manchmal kommen auch Männer auf uns zu, die das Problem lösen möchten. Entweder weil sie mit einem Mädchen Geschlechtsverkehr hatten, aber dieses nicht heiraten werden oder aber sie werden heiraten und brauchen das künstliche Jungfernhäutchen noch zur Bestätigung bei den Eltern.

Kennen Sie Fälle, in denen Männer schon mal vom dem künstlichen Hymen ihrer Frau Wind bekommen haben?
Davon ist uns kein Fall bekannt.

Dem Päckchen liegt ein Zettel mit Tipps bei, wie man sich beim Geschlechtverkehr dem Mann gegenüber verhalten soll. Raten Sie den Frauen zu schauspielern?
Die Mädchen sollen sich vollkommen unerfahren geben, verkrampfen und Schmerzen vortäuschen. Das ist genau das, was ein Mann von einer Frau beim ersten Mal erwartet. Den eigentlichen Effekt bringt dann Virginia Care mit Blutspuren, die der Mann am Glied hat und am Bettlaken zu sehen sind.

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 Fotos: Virginia Care, Viktor Hanacek